Programm
MURALS & MUSIC
Graffiti und klassische Musik scheinen sich auf den ersten Blick höchstens eine gemeinsame Stadtgrenze zu teilen. Opern, Sinfonien oder Kammermusik werden in den meisten Fällen für die geschulten Ohren eines stumm staunenden Publikums zum Klingen gebracht, in mondänen Umgebungen akustischer Perfektion, die jedes Geräusch des Störfaktors Alltag hinter verschlossenen Türen zurücklassen; Streetart- und Graffitikünstler*innen suchen dagegen bewusst die lärmende Ästhetik der Straßenecke, lassen zwischen aufgerissenem Asphalt und Späti ein Gewebe entstehen aus hoch individualisierten Codes und universeller Symbolik, das sich den erwartungslosen Augen der Masse provokativ aufdrängt, statt hinter Glas vermittelt zu werden.
MURALS und MUSIC aufeinandertreffen zu lassen, entsteht aus dem gemeinsamen Wunsch heraus, sonst so klar gezogene Grenzen zu verwischen: sich gegenseitig aus dem Konzept zu bringen, das eigene künstlerische Handeln, die eigene Nische zu überdenken, voneinander zu lernen, geformte Gattungen und Genres zu sprengen und gleichzeitig neu zu entdecken. Wandmalerei und Musik, Künstler*innen und Musiker*innen, Farbe und Klang stehen dabei nicht wohl kuratiert nebeneinander, sondern suchen bewusst den Aktionismus und die Reibungspunkte einer interdisziplinären Performance, in der das Wildern in jeweils unbekanntem Terrain eine radikal neue Form des gemeinsamen Ausdrucks entstehen lässt.
Das Ensemble NEUE KAMMER konzipiert und verwirklicht seit 2019 Programme, in denen sich nicht nur die Klänge Alter und Neuer Musik verbinden, sondern diese auch die Brücke zum Performativen und damit zur visuellen Ebene suchen. Uwe Arnold und Robert Aust sind freischaffende Graffiti- und Wandmalereikünstler, deren Werke bereits an unzähligen Fassaden, Häuserwänden in und außerhalb Leipzigs und auch auf Leinwand zu sehen sind.
Flow my tears
Flow, my tears, fall from your springs!
Exiled for ever, let me mourn;
Where night's black bird her sad infamy sings,
There let me live forlorn.
Down vain lights, shine you no more!
No nights are dark enough for those
That in despair their last fortunes deplore.
Light doth but shame disclose.
Never may my woes be relieved,
Since pity is fled;
And tears and sighs and groans my weary days, my weary days
Of all joys have deprived.
From the highest spire of contentment
My fortune is thrown;
And fear and grief and pain for my deserts, for my deserts
Are my hopes, since hope is gone.
Hark! you shadows that in darkness dwell,
Learn to contemn light
Happy, happy they that in hell
Feel not the world's despite.
Komposition & Text: John Dowland (1596)
Fließt, meine Tränen
Fließt, meine Tränen, strömt hervor aus euren Quellen; verbannt bin ich für immer, drum lasst mich trauern; wo der schwarze Vogel der Nacht sein Klagelied singt, dort lasst mich mein einsames Leben fristen.
Verlöscht, ihr eitlen Lichter, leuchtet mir nicht länger! Keine Nacht ist finster genug für jene,
die voller Verzweiflung ihr verlornes Glück beweinen; das Licht enthüllt nur ihre Schmach.
Nie wird meine Qual ein Ende finden,
denn alles Mitleid ist dahin;
und Tränen, Seufzer und Klagen
haben meine öden Tage aller Freude beraubt.
Vom höchsten Gipfel der Zufriedenheit
stürzte mich das Schicksal hinab,
und Furcht, Kummer und Leid sind mein Lohn,
sind meine Hoffnung, wo es keine Hoffnung mehr gibt.
Hört, ihr Schatten, die ihr im Dunkel lebt, lernt, das Licht zu verdammen.
Glücklich, glücklich sind all jene, die in der Hölle weilen und die Verachtung der Welt nicht spüren.
Livingroom Music - Story
Once upon a time the world was round, and you could go on it around and around.
Text: Gertrude Stein (1874-1946)
Komposition: John Cage (1912 - 1992), 1940
Wohnzimmermusik
Vor langer, langer Zeit war die Welt rund, und du konntest auf ihr gehen.
Übersetzung: Hanna Hagel
Feritevi, ferite
Feritevi, ferite, viperette mordaci.
Dolci guerriere ardite. Del dilette e d‘amor
bocche sagaci.
Saettatevi pur vibrat‘ ardenti,
l‘armi vostre pungente.
Ma le morti sien vite.
Ma le guerre sien paci. E piaghe i baci, sien saette le lingue e piaghe i baci.
Text: Giambattista Marino
Komposition: Heinrich Schütz (1585 - 1672), 1611
Verletzet euch, verletzet
Verletzet euch, verletzet, ihr Vipern voll Mordlust!
Süßeste Kriegerinnen, voll Vergnügen und Lust, bissige Münder!
Ach, durchlöchert euch doch, schwingt voll des Feuers eure stechenden Waffen!
Aber die Tode sollen Leben sein,
Die Kriege Frieden, die Zungen sollen Pfeile sein
Und die Küsse Wunden.
Übersetzung: Thomas Kolarczyk
Lamento della Ninfa
Non havea Febo ancora recato al mondo il dì,
Ch'una donzella fuora del proprio albergo uscì;
Sul pallidetto volto scorgease il suo dolor,
Spesso gli venia sciolto un gran sospir dal cor;
Sì calpestando fiori, errava hor qua hor là;
I suoi perduti amori così piangendo va:
- Amor - dicea,
il ciel mirando, il pie fermo.
- Amor, Amor, Dove la fe'
Ch'el traditor giurò? -
Miserella!
- Fa che ritorni il mio amor com'ei pur fu,
o tu m'ancidi ch'io
non mi tormenti più. -
Miserella, ah più, no,
tanto gel soffrir non può.
- Non vo' più ch'ei sospiri
Se non lontan da me,
Che i martiri più non dirammi affé.
Perchè di lui mi struggo tutt'orgoglioso sta:
Che si s'el fuggo
Ancor mi pregherà.
Se ciglio ha più sereno
Colei ch'el mio non è,
Già non rinchiude in seno
Amor si bella fè.
Né mai sì dolci baci
Da quella bocca havrai
Né più soavi. Ah taci
Taci, che troppo il sai.
Sì tra sdegnosi pianti
Spargea le voci al ciel:
Così ne'cori amanti
Mesce Amor fiamma e gel.
Text: Ottavio Rinuccini
Komposition: Claudio Monteverdi (1567-1643), 1638
Klage der Nymphe
Phoebus hatte noch nicht, den Tag noch nicht in die Welt gebracht, als eine Maid aus ihrer Behausung ging.
Auf ihrem blassen Gesicht war der Kummer zu sehen, oft kam aus ihrem Herzen ein tiefer Seufzer entspringt.
So schritt sie über Blumen, sie wanderte, mal hier, mal dort, und beklagte ihre verlorene Liebe so:
- O Liebe - sagte sie,
Sie starrte in den Himmel, während sie stand.
- Wo ist die Treue
Die der Betrüger versprach? -
Armes Mädchen!
- Lass meine Liebe zurückkehren wie er einst war
Oder töte mich, so dass
ich nicht mehr leiden werde. -
Armes Mädchen! Sie erträgt nicht
All diese Kälte.
- Ich will nicht, dass er weiter seufzt
Aber wenn er weit weg von mir ist.
Nein! Er wird mich nicht leiden lassen
Er ist stolz, weil ich mich nach ihm sehne.
Vielleicht, wenn ich von ihm wegfliege
wird er wieder zu mir kommen und beten.
Wenn ihre Augen heiterer sind
als die meinen,
O Liebe, sie trägt nicht in ihrem Herzen
Eine so reine Treue wie die meine.
Und du wirst von diesen Lippen keine
Küsse so süß wie die meinen,
noch weicher. Oh, sprich nicht!
Sprich nicht! Du weißt es doch besser! -
So inmitten verächtlicher Tränen,
Sie weinte zum Himmel hinauf;
So mischt sich in den Herzen der Liebenden
Die Liebe mischt Feuer und Eis.
They called me theirs
They called me theirs,
Who so controlled me;
Yet every one
Wished to stay, and is gone,
How am I theirs,
If they cannot hold me,
But I hold them?
Text: Ralph Waldo Emerson (1803-1882): Hamatreya (1946) VV. 53-59
Komposition: Kilian Verburg (*1993), 2023
Sie nannten mich ihr Eigen
Sie nannten mich ihr Eigen,
Die, die mich so sehr kontrollierten;
Doch sie alle
Wünschten zu bleiben und sind gegangen,
Wie bin ich ihr Eigen,
wenn sie mich nicht halten (bewahren) können,
aber ich sie halte?
Übersetzung: Hanna Hagel
Lamento
Olim lacus colueram
Olim lacus colueram Olim pulcher exstiteram,
dum cygnus ego fueram.
Miser! Miser!
Modo niger
et ustus fortiter!
Girat, regirat garcifer
Me rogus urit fortiter
Propinat me nunc dapifer.
Miser! Miser!
Modo niger
et ustus fortiter!
Nunc in scutella iaceo
Et volitare nequeo,
dentes frendentes video:
Miser! Miser!
Modo niger
et ustus fortiter!
Text: Carmina Burana (1803)
Komposition: Franziska Kuba (*1991) 2023
Klage
Der gebratene Schwan singt:
Einst schwamm ich auf den Seen umher,
Einst lebte ich und war schön,
Als ich ein Schwan noch war.
Armer, armer!
Nun so schwarz
Und so arg verbrannt!
Es dreht und wendet mich der Koch.
Das Feuer brennt mich sehr.
Nun setzt mich vor der Speisemeister.
Armer, armer!
Nun so schwarz
Und so arg verbrannt!
Jetzt liege ich auf der Schüssel
Und kann nicht mehr fliegen,
Sehe bleckende Zähne um mich her!
Armer, armer!
Nun so schwarz
Und so arg verbrannt!
Je vivroie liement
Douce creature
Se vous saviés vraiement
Qu'en vous fust parfaitement
Ma cure
Dame de meinteing joli
Plaisant, nette et pure
Souvent me fait dire: "aymi"
Li maus que j'endure
Pour vous servir loyaument
Et soiés seüre
Que je ne puis nullement
Vivre einsi, se longuement
Me dure
Mittelalterliches „Virelai“ (Tanz- und Liebeslied) aus Frankreich
Komposition: Guillaume de Machaut (1300 - 1377)
Ich lebte leicht und unbeschwert
Ich lebte leicht und unbeschwert,
wenn du, süßes Wesen,
nur verstündest, dass du mir Heilung wärst.
Ach du schöngewachsene Frau
Voll Reinheit und Grazie,
Wie oft klage ich mir selbst mein Weh:
Welch Leid tust du mir an!
Dir sei versichert:
Hält mein Schmerz noch länger an,
Raubt er mir das Leben!
Ohne Gnade und Erbarmen bist du,
Peinigerin meines Herzens!
Wirst nicht bald du mich erhören,
Stürzt du mich in einen schmerzlichen Tod.
Übersetzung: Ronja Sophie Putz & Jean-Baptiste Mouret
Vielen Dank an das Kulturamt der Stadt Leipzig für die Förderung unseres Programms.

Vielen Dank an das Podium Gegenwart und den Deutschen Musikrat für die Förderung unseres Ensembles im Rahmen des Förderprogramms In:Szene Vokal.

